Stellungnahme: Zentrale Fragen für die Zukunft der Kulturpolitik im Burgenland
Ich habe mich zur Formulierung einer (wie ich meine) konstruktiven Stellungnahme entschieden, hinreißen lassen, oder bin der Einladung nachgekommen.
Diese Stellungnahme bezieht sich auf die Publikation Kultur Burgenland 2020, herausgegeben von der KSB – Kultur-Service Burgenland GmbH. Die hier behandelten Fragstellungen finden sich auf Seite 83 der Publikation.
Fragestellung 1 —
„Was heißt es konkret, Kultur für die nächste Generation bzw. der nächsten Generation zu fördern?“
Kultur ist das Ergebnis der Gestaltung unseres Lebensraums durch seine Gesellschaft. Die aktive Neuausrichtung, Umformung und Verbesserung dieses Lebensraums sind Leistungen der Kultur.
Kulturförderung bedeutet die Förderung sozialer Interaktion und gesellschaftlicher Teilnahme.
Kulturförderung soll kulturelle Bildung fördern, denn kulturelle Bildung ist die Voraussetzung für eine pluralistisch orientierte gesellschaftliche Entwicklung und somit auch eine tragende Säule für die Selbstwahrnehmung dieser Gesellschaft.
Kulturförderung durch Kulturpolitik setzt ein interdisziplinäres Gesamtverständnis kultureller, künstlerischer und gesellschaftlicher Dynamiken voraus. (Kulturpolitik soll die dafür notwendigen Grundlagen gewährleisten. Sind diese Grundlagen nicht oder nur teilweise vorhanden, sollten diese im Land verbessert oder ins Land geholt werden. Dies setzt eine entsprechend realistische Selbsteinschätzung der eigenen fachlichen und personellen Ressourcen sowie den entsprechenden politischen Willen voraus. Das Selbstbild sollte dabei nicht nur durch die innere Betrachtung gestützt werden – der Blick von außen ist für die eigene Bewertung notwendig.)
Kulturpolitik als Gesellschaftspolitik sollte konsequent zu einer Kulturpolitik als sozialkulturelle Infrastrukturpolitik weiter entwickelt werden, in der auch Probleme der Krise der Demokratie und der aktuellen Lebensweise aufgegriffen werden.
Öffentliche Kulturförderung für das Gemeinwesen sollte die gegenwärtigen kontextuellen Verknüpfungen von Kulturproduktion und Kulturrezeption verstehen und fördern. Um sinnvolle Förderstrategien zu entwickeln, soll daher nicht nur zwischen Produzenten und Konsumenten unterschieden werden. Die Wahrnehmung einer dritten Gruppe, jene der „Prosumenten“, sollte ebenso gegeben sein. Warum? Die Verfügbarkeit und Nutzung von Wissen hat sich in den vergangenen Jahren deutlich verändert. Der Zugang zu Wissen, Know-How und Technologie erfolgt heute nicht mehr ausschließlich über den Weg des Bildungssystems, sondern auch durch den Wissenstransfer innerhalb der Netzwerke. Dies zeigt, dass das Bildungssystem selbst auf diese Veränderung eingestellt werden müsste. Die Frage der „Sozialen Inklusion“ wird in der Broschüre „Kultur Burgenland 2020“ mit dem Verweis auf die Lehrlingsausbildung aufgeworfen. Die Einbeziehung der durch diese Frage implizierten Handwerksausbildung ist im Sinne der Verbindung unterschiedlicher Berufsgruppen (Handwerk, Design, Industrie, Architektur, …) wichtig und richtig! Das Verständnis sowie die Förderstrategie im Kontext der „Kreativwirtschaft“ müsste hier bereits früher einsetzen – z.B. beginnend in der Lehrlingsausbildung.
Handwerk ist Teil der Kultur. Auch hier stellt sich die Frage nach der „Delikatesse“ – abseits der industriellen Fertigung. Die Verknüpfung fachlicher Handwerksexpertisen mit hochwertigen Industrie- und Produktdesign ist nur ein Beispiel das auf eine Verschränkung produktiver Leistungen und in der Ausbildung nachhaltig positive Effekte haben kann. Diese Möglichkeiten sollten sichtbar gemacht und entsprechend gefördert werden.
Beispiele:
- Werkraum Bregenzerwald in Andelsbuch/Voralberg („Dem Handwerk gehört die neue Zeit“)
- Kinder, Handwerk im Unterricht, Lehre
- Otelo – Offenes Technologielabor
- Werkschulheim Felbertal (Schulkonzept)
Interdisziplinarität ist ein wesentliches Merkmal des Kunstschaffens und Kulturgeschehens. Interdisziplinarität sollte daher auch für gute Kunst,- Kultur- und Wissenschaftspolitik gelten. Diese sollte im Austausch mit jenen stehen die eigeninitiativ einen kulturellen Beitrag leisten. Denn meist sind es diese Menschen die „Neues“ hervorbringen und in Folge dieses „Neue“ der Gesellschaft (und ihrer Kultur) zuführen. Tradiertes soll nicht durch das Neue ersetzt werden, sondern zueinander in Bezug gebracht werden. Damit das gelingt, ist seitens der Politik ein wachsendes Verständnis und Wissen hinsichtlich gesellschaftlicher Dynamiken erforderlich. Kultur steht immer unter dem Einfluss vielfältiger Strömungen, innerer und äußerer Kräfte. Kräfte, die weder von der Gesellschaft, noch von der Politik im Moment des Wirkens verstanden werden können. Daher fordert Kultur Vertrauen und Offenheit gegenüber dem Neuen – von Mensch und der Politik.
Kultur darf niemals ein Treibhaus sein. Kultur ist das Grundrauschen gesellschaftlicher Kommunikation. Kultur ist lebendig wenn Austausch, Wahrnehmung und Vermittlung sichergestellt sind. Kultur stellt die Möglichkeit der vielfältigen Selbstwahrnehmung unserer Gesellschaft bereit auf die wir uns stützen können um ein Wertemodell durch ständige Evaluierung zu pflegen und kritisch begreifen zu können. Kultur ist das lebendige Archiv unserer Gesellschaft. Das gilt es in seiner gesamten Vielfalt zu verstehen und zu vermitteln.
Fragestellung 2 —
„Wie entsteht im Burgenland ein inspirierendes Milieu für das Florieren von Kunst (als Delikatesse) im Dialog mit Kultur (als Grundversorgung)?”
Die Schnittstelle zwischen Kunst als „Delikatesse“ und Kultur als „Grundversorgung“ ist kulturelle Bildung.
Ein inspirierendes Milieu für das Florieren von Kunst im Dialog mit Kultur entsteht sobald die Gesellschaft durch kulturelle Bildung in der Lage ist die Leistungen der Kunst im eigenen Lebensumfeld zu ermitteln.
Kulturelle Bildung soll die ästhetische Kompetenz der Gesellschaft fördern. Also sollten kulturpolitische Maßnahmen zur Förderung der ästhetischen Kompetenz bewusst gesetzt werden.
Kulturelle Bildung ermöglicht ein Grundverständnis unterschiedlicher Sichtweisen, Standpunkte und Werte. Kulturelle Bildung der Gesellschaft soll daher eine zentrale kulturpolitische Aufgabe sein.
Wie kann kulturelle Bildung gefördert werden?
Der Mensch soll am kulturellen Leben aktiv und passiv teilhaben können. Um das zu gewährleisten, soll er hinsichtlich seiner Interaktions- und Rezeptionsfähigkeit gefördert werden.
Die Vermittlung zielt auf kulturelle Identitätsbildung gegenüber bewahrenden, traditionellen und progressiven Strömungen in der Kunst. Die Maßnahmen der kulturellen Bildung sollen im interkulturellen Kontext auf die ästhetische Durchdringung von Gruppen abzielen.
Vermittlung soll in individuellen Auseinandersetzungen mit Kunstwerken persönlich bewegen, künstlerisches Interesse wecken, zu Reflexionen der eigenen Standpunkte anregen und zu einer engagierten Teilhabe gegenüber Kunst verhelfen, die es ermöglicht, Kunst nachhaltig in den eigenen und gesellschaftlichen Alltag zu integrieren.
Eine Vermittlung die auf wissensbasierte, handwerkliche und ästhetische Grundlagen aufbaut, fördert auf lange Sicht das individuelle Kulturerleben, indem Zusammenhänge begreifbar und erfahrbar gemacht werden. So entsteht ein Bewusstsein für Interdisziplinarität und dieses Bewusstsein fördert die „Offenheit“ einer Gesellschaft.
Beispiele:
- Artists in Creative Education (Kollaboration zwischen Österreich, Holland, Schweden, UK)
- Landesprogramm „Kultur und Schule“; Nordrhein-Westfalen, Deutschland
Fragestellung 3 —
„Wie kann eine sinnvolle Kommunikation des Kulturangebots aussehen – und zwar innerhalb und auch außerhalb des Burgenland?“
Kunst- und Kulturobjekte eignen sich in besonderer Weise, um durch gemeinsame Betrachtung die unterschiedlichen Denkmuster oder Bezugsysteme aller Beteiligten (vor allem aus dem eigenen Kulturkreis) zu bestimmen und zu reflektieren. Daher sollten diese inhaltlich aktiv betreut und verstanden werden, wenn die Kommunikation des Kulturangebots sinnvoll sein soll.
Wer heute kommunizieren will, sollte nicht nur seine gegenwärtigen Zielobjekte kennen, sondern auch erahnen können, welche diese möglicherweise morgen sein werden.
Heutige Zielgruppen – vor allem jene die in einem kulturellen Kontext stehen – bewegen sich in überschneidenden Interessens- und Wissensgebieten. Ergebnisse gegenwärtiger Schnittmengen sind die Themen von morgen. Gute Vernetzung ist eine Grundvoraussetzung, ebenso die dafür notwendigen Kenntnisse über die jeweiligen Kommunikationsmedien.
Vernetzung ist hier gleichbedeutend mit dem Austausch zwischen dem „Innen“ und dem „Außen“ – dem Austausch innerhalb der Landesgrenzen sowie dem Austausch mit dem Umfeld. Der Dialog zwischen dem Land, den KünstlerInnen und KulturarbeiterInnen sollte forciert werden. Museen, Ausstellungen und ähnliche von der Landespolitik ausgehende Aktivitäten sind Verhandlungs- und Handlungsräume des gesellschaftlichen Miteinanders. Je eher dieses „Miteinander“ von der Kulturpolitik unterstützt wird, desto sinnvoller kann es nach außen und nach innen vermittelt und verhandelt werden. Eine dialogische Kulturpolitik fördert das wechselseitige Verständnis und ermöglicht kulturpolitisch verwertbare Erkenntnisse. Das daraus gewonnene Wissen und Verständnis über das Werk und dessen ursächliche Inspiration ist die Grundlage für die mögliche Vermittlung nach innen und nach außen. Der fachliche Dialog zwischen den kulturpolitischen Vertretern und den Kunst- und Kulturschaffenden ist dazu notwendig. Dieser Dialog muss auf Augenhöhe – in den Werkstätten, in den Ateliers, in den Museen, in der Öffentlichkeit – geschehen. Das Land sollte daher den Wissenstransfer ermöglichen indem es Menschen für sich gewinnt, die auf natürliche Weise „Milieu-fördernd“ wirken.
Die Abwanderung aus dem Burgenland war und ist ein gesellschaftliches, wirtschaftliches und kulturelles Problem des Burgenlands. Dabei reicht der geografische Raum in dem dieser „Braindrain“ wirkt in den meisten Fällen tatsächlich nicht weiter als bis nach Wien. Dennoch erwächst dem Land dadurch ein Nachteil der Herausbildung der kulturellen Attribute und Vielfalt.
Geht es um die Frage einer Verbesserung dieser Situation, dann geht es um nicht weniger als das Burgenland als lebenswertes und qualitatives Habitat darzustellen, das allerdings künstlerisch, kulturell und – im ökonomischen Kontext – kreativwirtschaftlich anschlussfähiger gemacht werden sollte. Es müssten für „aktiv“ geprägte Menschen kulturell sichtbare Anreize geschaffen werden, als Voraussetzung, dass jene selbst in diesem Habitat aktiv werden um Kultur zu bereichern und zu stimulieren. Voraussetzung dafür ist ein bewusst wahrzunehmendes, weil kommuniziertes und ernstzunehmendes Angebot seitens des Landes.
Personen, die den heutigen künstlerischen, kulturellen und gesellschaftspolitischen Themen auf natürliche Weise nahe stehen, sollten das Angebot einer konkreten und professionellen Mitarbeit erhalten. Im Dialog als Berater und/oder in der praktischen Umsetzung. Schon wenige dieser „Profis“ („Kunstbotschafter“ ? – siehe S. 83, Stichwort Kulturvermittlung und Vermarktung) wären durch deren Vernetzung gute Wegbereiter.